Ursprünglich erschienen in der Sparkassenzeitung
Künstliche Intelligenz gilt als eine der Schlüsseltechnologien für die Finanzbranche. Ein Ziel sind selbstlernende Systeme, die komplexe Muster und Gesetzmäßigkeiten in Daten erkennen, um auf dieser Basis fundiertere und effizientere Entscheidungen zu treffen. Eine wichtige Grundlage dafür ist maschinelles Lernen, weil die Technik dadurch ähnlich funktioniert wie das menschliche Gehirn.
Viele Institute treiben aktuell die Digitalisierung voran, um ihre Prozesse zu optimieren und sich vertrieblich in einer Omnikanal-Welt neu aufzustellen. Aber reicht das aus, um gut durch die nächste Krise zu kommen? Fakt ist, dass bereits heute (theoretisch) ein Großteil der manuellen Prozesse bei Kreditinstituten durch Automatisierung und Digitalisierung auf ein neues Level gehoben werden könnte. Der Kunde honoriert deutlich verkürzte End-to-End-Durchlaufzeiten und schätzt auch die digitalisierten Nebenprozesse (zum Beispiel digitaler Finanzbericht).
Bereits heute sind erste automatisierte Systeme für Kreditentscheidungen erfolgreich im Einsatz. In der Sparkassen-Finanzgruppe wird kanalübergreifend von zahlreichen Instituten die sogenannte Aktivlinie im privaten und gewerblichen Bereich genutzt – und das sehr erfolgreich. Um die Prozesse zu verschlanken und schneller Kreditentscheidungen zu treffen, wird Kunden teilnehmender Institute automatisiert diese Aktivlinie eingeräumt.
In der Praxis können Kredite bis zu einer festgelegten Höhe (derzeit maximal 100 000 Euro) damit in einem vereinfachten Verfahren unmittelbar auf allen Kanälen zugesagt werden. Die Höhe der kundenindividuellen Aktivlinie ist dabei von verschiedenen Parametern abhängig: Ausgangspunkt der Berechnung ist etwa der approximierte Geschäftsumsatz der vergangenen Monate.
Während die Berechnungslogik initial definiert wurde und nur bedingt anpassbar ist, werden für ausgewählte Berechnungsparameter lediglich Verbandsempfehlungen ausgesprochen. Diese können anschließend durch die Institute individuell modifiziert werden. Systeme wie die Aktivlinie nutzen dabei größtenteils Parameter, die auf historischen Werten basieren, Expertenschätzungen umfassen und nur stichtagsbezogen ermittelt werden. Es handelt sich somit um ein nicht-lernendes System, das regelmäßig durch manuelle Anpassungen von Parametern weiterentwickelt werden muss.
Obwohl die Aktivlinie im Mengengeschäft gute Ergebnisse erzielt, lässt sich die Qualität der Kreditentscheidung durch den Einsatz künstlicher Intelligenz deutlich verbessern. Heute werden für Kreditentscheidungen im Wesentlichen noch stark vereinfachende, statische Modelle genutzt, die mit vergleichsweise wenigen Daten beziehungsweise Parametern (zum Beispiel Haushaltseinkommen) „gefüttert“ werden. Solche Systeme arbeiten meist unter der Annahme, dass es einen simplen, linearen Zusammenhang zwischen den betrachteten Parametern und der Kreditwürdigkeit des Kunden gibt. Daraus resultiert zwar ein einfach zu interpretierendes Modell, das mitunter jedoch die komplexe Lebenswirklichkeit vernachlässigt, die die Kreditwürdigkeit aber unmittelbar beeinflusst.
Weiter vertraut man bei diesen Modellen darauf, dass die Parameter, auf deren Basis die automatisierten Entscheidungen getroffen werden, vom Menschen bei der Modellentwicklung richtig definiert worden sind. So nutzen automatisierte Kreditvergabesysteme oft den approximierten Geschäftsumsatz als Entscheidungsfaktor. Was jedoch, wenn etwa der Geschäftsgewinn in Wirklichkeit der weitaus effektivere Entscheidungsfaktor sein sollte? Das entwickelte System würde ständig unzureichende Entscheidungen fällen, da ihm bereits beim Start die „falschen“ Entscheidungsfaktoren an die Hand gegeben worden sind.
Das automatische Lernen und Aktualisieren dieser Faktoren – basierend auf Daten von Tausenden zuvor getroffenen Kreditentscheidungen – und deren Ausgang findet in einem statischen System zudem nicht statt. Um es anzupassen, wäre eine manuelle Aktualisierung des Systems von außen erforderlich.
Dabei sind Kreditinstitute durch die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz (KI) heute bereits in der Lage, selbstlernende Systeme zu entwickeln, die komplexe Muster und Gesetzmäßigkeiten in Daten erkennen und auf dieser Basis fundierte Entscheidungen treffen. Ein künstlich geschaffenes System gilt dann als intelligent, wenn es kognitive Funktionen eines Menschen beziehungsweise Lebewesens hat (zum Beispiel die Fähigkeit zu lernen oder das Lösen von Problemen).
Vor allem das Lernen wird über das breite Feld des Machine Learnings (maschinelles Lernen) adressiert. Ein Teilgebiet, das sogenannte Deep Learning, hat in der Vergangenheit besonders viel Aufmerksamkeit erregt, weil es in den Bereichen maschinelles Sehen (Computer Vision) und Sprachverarbeitung (Natural Language Processing) besonders erfolgreich eingesetzt worden ist. Teilweise konnten KI-Systeme bereits das Leistungsniveau des Menschen nicht nur erreichen, sondern sogar übertreffen (zum Beispiel im Brettspiel Go). Wie die Technologie arbeitet, zeigt exemplarisch Abbildung 1. Daten werden bei diesem Verfahren von Experten manuell gesichtet, zusammengefasst und ausgewählt, um sie für spezifische Machine-Learning-Modelle (im Beispiel: Entscheidungsbäume) aufzubereiten. Die Modelle sind weniger rechenintensiv und können selbst mit kleineren Datenmengen gute Ergebnisse liefern.
Methoden des maschinellen Lernens sind deshalb statistische Verfahren, die auf (meist tabellenförmigen) Daten basieren. Sie bestehen aus teilweise Hunderten oder mehr Attributen, die das Problem beschreiben. Dabei wird stets anhand einer hinreichend großen Datenbasis versucht, generelle Gesetzmäßigkeiten aus den Daten automatisiert zu erkennen und zu lernen.
Vor dem eigentlichen Lernprozess erfordern klassische Machine-Learning-Algorithmen in der Regel eine sehr aufwendige Vor- und Aufbereitung der Daten. Die Parameter (Features) müssen im ersten Schritt meist aus mehreren Datenquellen konsolidiert und extrahiert, um im zweiten Schritt gesäubert, sinnvoll umgewandelt und normalisiert werden zu können. Beide Schritte sind nicht nur sehr zeitintensiv – de facto die aufwendigste Phase im gesamten Prozess –, sondern erfordern auch viel Erfahrung und ein tiefes, fachliches Verständnis.
Bezogen auf Systeme, die über Kreditbewilligung entscheiden sollen, bedeutet dies, dass Daten früherer Kreditentscheidungen parametrisiert und sämtliche Entscheidungsgründe maschinell lesbar dargestellt werden müssen.
Mit derart trainierten Modellen sind dann für künftige Daten fundiertere Aussagen zur Kreditwürdigkeit anhand der Merkmale der Anfrage (der sogenannte Inferenzschritt) möglich. Da das System die Entscheidungen automatisch auf der Basis historischer Daten getroffen hat, sind sie erwiesenermaßen statistisch optimal. Darüber hinaus können die Parameter dieser Modelle mit neuen Daten kontinuierlich aktualisiert und somit dynamisch sich ändernden Umständen angepasst werden.
Abbildung 2 zeigt an einem Beispiel die Funktionsweise von Deep Learning (tiefgehendes Lernen). Das tiefe neuronale Netz lernt automatisch hochkomplexe Zusammenhänge in den Daten. Das Training ist äußerst rechenintensiv und erfordert meist große Datenmengen.
Deep Learning steht deshalb für eine bestimmte Methodenfamilie des maschinellen Lernens. Basierend auf sogenannten künstlichen neuronalen Netzen, die der Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachempfunden sind, verfügen sie über eine enorm hohe Abstraktionsfähigkeit. Dieser Ansatz eignet sich daher vor allem bei komplexen Datentypen wie Bildern oder Tönen, deren semantische Aussagekraft implizit enthalten ist. Sie können Gesichter in einem Pixel-Bild unterscheiden oder Sprachkonstrukte in einer Audiodatei erkennen. Schlüssel für eine solch starke Abstraktionsfähigkeit ist, dass Daten nicht wie im klassischen maschinellen Lernen mühsam per Hand aufbereitet werden müssen, sondern die beste Datenrepräsentation automatisch gelernt wird. Das macht Deep Learning zu einem Universalwerkzeug, das beliebig komplexe Zusammenhänge lernen kann, sofern hinreichende Datenmengen und Rechenkapazitäten vorhanden sind.
Aktuell ist jedoch nur ein Bruchteil der Kundeninformationen digital verfügbar, um sie in statistischen Modellen berücksichtigen zu können. Grund dafür ist, dass trotz verstärkter Standardisierung im Vertriebsprozess (zum Beispiel Finanzkonzept der Sparkassen-Finanzgruppe) Kreditentscheidungen immer noch stark von Kundengesprächen oder anderen, teilweise schwierig zu quantifizierbaren Faktoren abhängig sind. Eine Lösung zur Erfassung der Informationen könnte die automatisierte Spracherfassung sein. Moderne Sprache-zu-Text-Systeme sind heute schon in der Lage, Gesprächen in Echtzeit zu folgen. Beispiel für eine solche Technologie ist der Google-Übersetzungsdienst, der nicht nur Text erfasst, während jemand spricht, sondern diesen gleichzeitig in eine andere Sprache übersetzt.
Die durch ein solches System generierten Daten beziehungsweise Informationen können bereits heute mithilfe künstlicher Intelligenz automatisiert in Themen unterteilt und nach Schlüsselwörtern sortiert werden. Daraus ableiten lässt sich sogar die generelle Grundstimmung des Kommunizierenden. Diese Daten könnten eine weitere Datenquelle für ein Kreditrankingsystem sein, das schon aus unzähligen vorausgegangenen Kundengesprächen gelernt hat, welche Teile und Nuancen der Unterhaltung wichtig für eine finale Entscheidung der Kreditwürdigkeit sind.
Neben den während eines Beratungsgesprächs erhobenen Daten benötigen KI-Systeme jedoch auch „Erfahrungswerte“ beziehungsweise Daten, auf deren Basis sie „lernen“ können. Für Kreditinstitute sind solche Daten jedoch eine große Herausforderung: Durch die 2018 europaweit eingeführte Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gelten für das Speichern personenbezogener Daten nämlich strikte Auflagen. Die daraus resultierende geringere Datendichte führt zu einem klaren Wettbewerbsnachteil gegenüber US-amerikanischen beziehungsweise asiatischen Instituten.
Künstliche Intelligenz ist heute schon in der Finanzwirtschaft einsetzbar und verspricht bei entsprechender Vorbereitung deutliche Effizienz- und Zeitgewinne. Zu einem Engpass in den Kreditinstituten könnte das benötigte KI-Fachwissen werden. Der Hauptgrund: Bei großen US-amerikanischen Tech-Konzernen wie Google oder Amazon sind frühzeitig große Budgets bereitgestellt worden, um Absolventen und KI-Experten anheuern zu können. Dadurch sind Jahresgehälter von mehreren Hunderttausend US-Dollar möglich, was den Tech-Firmen ein deutliches Wissensmonopol verschafft.
Dr. Georg Eder ist Partner und Chief Innovation & Technologie Officer bei Kampmann Management Consultants (KMC).
Frederik Mattwich und Keesiu Wong sind Mitgründer von Design AI in Garching bei München, die innovative Software-Lösungen durch die Kombination von künstlicher Intelligenz und Design Thinking entwickelt.
KMC und Design AI kooperieren bei innovativen Ideen für den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Finanzwirtschaft.
Frederik Mattwich is Co-Founder and CTO of Design AI, a start-up focusing on agile AI development and use case identification through Design Thinking. He is an experienced AI Engineer with background in Computer Science at Technical University Munich, focusing on Artificial Intelligence and Robotics. Besides 5+ years of experience in AI projects he has expertise in the development of scalable software and infrastructure.
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